Der Vortrag im Wirtshaus
Letzten Donnerstag durfte ich den kostenlosen Vortrag von Bernhard Suttner anhören, der von der ÖDP Regensburg Land im Gasthof Stocker in Obertraubling organisiert wurde. Hier die Pressemitteilung von Matthias Baldauf dazu.
Obertraubling war für mich von Regensburg aus noch gut mit dem Rad zu erreichen. Dort angekommen, war der abgetrennte Nebenraum schon so voll, dass zusätzliche Stühle herbeigeschafft wurden. Man darf sich ein typisches ländliches bayerisches Wirtshaus vorstellen. An dem Abend habe ich kein Essen bestellt, aber um etwas veganes zu bekommen hätte man wahrscheinlich mit der Bedienung erst verhandeln müssen. Zumindest auf der Brotzeitkarte taucht nicht einmal etwas vegetarisches auf. Die Zuhörer*innen waren größtenteils im Rentenalter. Es herrschte eine gemütliche Atmosphäre, nur die Luft wurde so stickig, dass ich den Raum verlassen habe und so das Ende des Vortrags verpasst habe - und das bei einer Partei, die für Luftreinhaltung plädiert. ;)
Ich bin überzeugt davon, dass sich Herr Suttner nach bestem Wissen und Gewissen für die gute Sache einsetzt. Sein politisches Engagement hat ihm auch schon das Bundesverdienstkreuz eingebracht. Viele seiner Forderungen halte ich für sehr sinnvoll, aber ich denke, dass die zu Grunde liegende Weltanschauung sich von der meinen unterscheidet.
Thermodynamik
Wenn Nicht-Physiker*innen, besonders Philosoph*innen über Physik reden, dann treibt das oft kuriose Blüten. Auch ich selbst bin kein Experte. Also korrigieren Sie mich bitte, falls etwas nicht ganz stimmt.
Erster Hauptsatz der Thermodynamik:
Die Energie in einem geschlossenen System ist konstant.
Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik:
”Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik trifft Aussagen über die Richtung von Prozessen und das Prinzip der Irreversibilität. Aus dem Zweiten Hauptsatz lassen sich die Definition der thermodynamischen Temperatur und die Zustandsgröße Entropie herleiten.”1
Während der erste Hauptsatz der Thermodynamik leicht verständlich ist, ist der zweite nicht so einfach. Es gibt keine feste Definition - die Formulierungen unterscheiden sich. Wenn man es in einem Satz sagen müsste, dann würde dieser lauten: “Hitze bewegt sich immer von heißeren Objekten zu kälteren Objekten (oder “bergab”), außer es wird Energie hinzugefügt, um die Richtung umzukehren.” Das scheint jetzt erst einmal wenig allgemein und eher für Gebäudeklimatiker*innen, als für die Allgemeinheit interessant.
Aber der zweite Hauptsatz führt auch die Zustandsgröße der Entropie ein. Daraus, dass die SI-Einheit der Entropie Joule/K, also Energieeinheit pro Temperatureinheit ist, werden die wenigsten Schlüsse ziehen können. Um hier nicht auszuufern, werde ich nicht versuchen, das Konzept zu erklären, sondern verweise auf Wikipedia.
Ich vermute, dass Herr Suttner diese physikalischen Gesetzmäßigkeiten voreingenommen interpretiert hat. Der erste Hauptsatz passt nicht zu der Ansicht, dass wir uns einschränken müssen. Schließlich besagt wer, dass Energie weder zerstört noch erzeugt wird. Resourcen, Materie und Energie, die wir verwenden wird nicht verbraucht, sondern nur umgewandelt.
Der zweite Hauptsatz passt schon viel eher zu der Weltsicht. Schließlich erhöht sich die Entropie in einem geschlossenen System nur. Man könnte sagen, dass negative Entropie (Negentropie) nur irreversibel verbraucht wird. Das würde sehr gut zu der Ansicht passen, dass wir uns einschränken müssen und weniger verbrauchen.
Ich persönlich habe einfach beschlossen, mich nicht damit zu beschäftigen, um nicht dem Existentialismus zu verfallen, mache hier aber eine Ausnahme. Wenn man die Schlussfolgerung noch nicht im Kopf hat und unvoreingenommen über die physikalischen Gesetzmäßigkeiten nachdenkt, sollte man zu anderen Ergebnissen kommen.
Die Erde ist kein geschlossenes System. Unser Problem ist gerade, dass sie mehr Energie aufnimmt, als sie abstrahlt. Zwischen 1971 - 2018 hat die Erde etwa 356*10^24 Joule (356 000 000 000 000 000 000 000 Joule) thermische Energie aufgenommen.2 Energie Zu- oder Abnahme verändert nicht zwingend die Entropie. Aber auf jeden Fall ist die Erde kein geschlossenes thermodynamisches System. Lebende Organismen verwenden Energie, um die Negentropie (~Ordnung) in den eigenen Körpern zu erhalten, um zu überleben. Mir ist nicht klar, welchen Einfluss die Menschheit auf die Gesamtentropie des Planeten hat. Mehr zum Thema Entropie und Leben in diesem englischsprachigen Artikel auf Wikipedia.
Wenn man davon ausgeht, dass man folgenden Generationen ein möglichst lebenswertes Leben mit möglichst viel Negentropie ermöglichen möchte, dann gibt es zwei Möglichkeiten:
Weniger Negentropie verbrauchen
Zugang zu Negentropie sicherstellen
Weniger Negentropie verbrauchen
“Ah, also wir müssen DOCH verzichten!”, könnte man meinen, wenn man Punkt eins ließt. Allerdings hat das, was die Menschheit macht, keinen großen Einfluss auf die Entropie des Sonnensystems, wenn man es mit natürlichen Prozessen vergleicht. Jeder von selbst ablaufende Prozess verbraucht Negentropie. Die Sonne verliert jährlich (2–3)×10^−14 Solare Massen /Jahr. Um den Vergleich mit der Erwärmung der Erde hier die Energieabgabe der Sonne für den Zeitraum Zwischen 1971 - 2018:
Masseverlust der Sonne pro Jahr: (2–3)×10−14 Solare Massen/Jahr (Annahme 2.5)
Solare Masse = (1.98847±0.00007)×1030 kg
E=mc²
47 Jahre
->
E=2.1×10^35J
Das ist 590 000 000 mal mehr als die Energie, die von der Erde aufgenommen wird. Ich bin mir unsicher, ob meine Rechnung stimmt, aber wenn man bedenkt, dass die Strahlungsintensität mit r²π abnimmt und wie weit die Erde von der Sonne weg ist, wird klar: Das ist ziemlich viel Energie. Und da das ein von selbst ablaufender Prozess ist, wird nach meinem Verständnis auch eine entsprechende Menge Negentropie verbraucht.
Daher scheint es mir nicht sinnvoll dazu aufzurufen, Negentropie zu sparen.
Zugang zu Negentropie sicherstellen
Was Herr Suttner nicht angesprochen hat ist, wie viel Negentropie wir durch natürliche Prozesse verlieren. Man könnte diese Prozesse unterbinden, um mehr Negentropie für unsere Nachwelt zu hinterlassen. Man könnte zum Beispiel darauf verzichten, Milch in den Kaffee zu schütten, weniger Fossile Energieträger verbrennen, die Sonne auslöschen oder zumindest ihre Energie mit Hilfe eines Dyson-Schwarms ernten.
Der zweite Mechanismus, durch den unsere Nachkommen weniger Negentropie zur Verfügung haben werden, ist die Ausdehnung des Universums, wodurch uns immer mehr Resourcen für immer entschwinden. Kurzgesagt hat dazu ein sehr gutes Video gemacht.
Schlussfolgerung
Jetzt sind wir ganz schön abgedriftet in unendliche Weiten. Aber sowas passiert eben, wenn man von den Grundgesetzen der Physik aus denkt. Es scheint, als müssten wir uns ins Universum ausbreiten, anstatt verzichten, damit unserne Nachkommen möglichst viel Negentropie und andere Ressourcen zur Verfügung haben. Allein, dieses logisch hergeleitete Ergebnix zu präsentieren scheint wie ein Aufruf zum Größenwahn und ist mit dem Wert der Bescheidenheit schwer vereinbar. Bescheidenheit ist Herrn Suttner wichtig, vermute ich.
Ich denke, wir brauchen uns vorerst nicht um das ganz große Ganze kümmern und sollten erst einmal das friedliche, glückliche Überleben unserer Spezies kümmern. (Klimawandel etc.)
Mit dem Universum können sich dann kommende Generationen beschäftigen.
Mehr Themen
Es gäbe noch viel mehr zu sagen, aber ich beschränke mich aus Zeitgründen hier und werde eventuell noch zu folgenden Themen aus dem Vortrag etwas schreiben:
Überbevölkerung / Weniger Kinder machen
Extraktion / Expansion ist ein Angriff
Naturalismus / Wachstum in der Umwelt führt zu Reife
Ich würde mich über eine Antwort von Herrn Suttner und Kommentare von Ihnen freuen.
Handout
Herr Suttner hatte ein Handout ausgeteilt, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
https://essd.copernicus.org/articles/12/2013/2020/
Du kannst es ja eher als Wachstumspause sehen, bevor wir ins Weltall expandieren.
Denn wie du richtig erkannt hast, müssen wir erst das Klimawandel- und Artensterbenproblem in den Griff bekommen, bevor wir an den nächsten Zivilisationsschritt denken können.